Netzwerk veranstaltete würdige Erinnerung
Die vom Netzwerk gegen Rechts veranstaltete Mahnwache zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus war ein großer Erfolg.
Etwa 160 Menschen folgten der Einladung des ‚Netzwerk gegen Rechts‘, am 27.01.2020 auf dem Synagogenplatz , den 75. Jahrestag der Befreiung des KZ-Auschwitz und den Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken.
Begleitet von Klezmer-Musik, stellten die Teilnehmer*innen Kerzen auf dem Synagogenplatz auf, um den Grundriss der am 09. November 1938 niedergebrannten Synagoge nachzuzeichnen. Alexander von Fintel (Netzwerk gegen Rechts) begrüßte die Anwesenden
Pastor Frank Morgenstern (Christus- und Garnisonkirche) ging in seiner sehr persönlichen Ansprache auf das ein, was Menschen zur Zeit der Judenverfolgung erlebten, und auf Begegnungen, die er mit Holocaustüberlebenden hatte. Morgenstern stellte auch die Frage, wie wir es ertragen hätten, Überlebende zu sein. Er beendete seine R_ede mit einem eindringlichen Appell:
Wir erinnern, das ist unsere Aufgabe.
Wir mahnen, das ist unsere Aufgabe.
Wir vergessen nicht, das ist unsere Aufgabe.
Nach Frank Morgenstern trat Dorothee Jürgensen (DGB Regionalgeschäftsführerin und Mitglied des Sprecher*innen-Teams des ‚Netzwerk gegen Rechts‘) an das Mikrofon.
Sie stellte die Greueltaten der Nazis aber auch die wieder erstarkende Rechte, die zu Teilen die Ideologie der Nazis eins zu eins zu ihrer eigenen macht in den Mittelpunkt ihrer Rede.
Wir wollen erinnern an die unsäglichen Gräueltaten des NS-Regimes und der Opfer gedenken!
Und wir wollen jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken und entgegentreten.
Nach einer weiteren Klezmer Musikeinlage kündigte Ulf Berner die Ansprache einer Zeitzeugin an. Hanni Lévi, die den Holocaust in Berlin überlebte, weil Deutsche Nicht-Juden ihr halfen und sie versteckten. Hanni Lévi’s Geschichte wurde in dem Film „Die Unsichtbaren“ nachgezeichnet. Hanni Lévi verstarb zwar bereits im Oktober 2019, Ulf Berner hatte aber ein Tondokument ihrer Rede vom 27.01.2018 vor dem Bundesparteitag der GRÜNEN in Berlin vorbereitet.
Hanni Lévi: „Ich möchte Sie an das Erinnern erinnern.“
[player id=39]
Zum Abschluss der Veranstaltung sangen alle Teilnehmer*innen gemeinsam das Lied „Moorsoldaten, dass im KZ Börgermoor (bei Papenburg) 1933 von den dort inhaftierten Johann Esser, Wolfgang Langhoff und Rudi Goguel geschrieben worden war.
Die vollständige Rede von Frank Morgenstern
Dornum
Dornum ist eine kleine Ortschaft in Ostfriesland. Gesten war ich da. Am Ende des 1. Weltkriegs hatte der Ort etwa 500 Einwohner. Jeder zehnte von ihnen war jüdischen Glaubens.
1938, Reichspogromnacht. Das Inventar der Synagoge wird auf den Marktplatz gebracht. Alles wird zerstört. Die Synagoge bleibt bestehen. Und zwar nur deshalb, weil sie zwei Tage vorher an einen Nichtjuden verkauft worden war.
Fast die Hälfte der Menschen jüdischen Glaubens wird in Lagern umgebracht. In diesem Ort kannte jeder jeden und jede. Enger und mehr verknüpft ging es nicht. Und trotzdem war es hier nicht anders als woanders.
Erinnern ist schwer vorzustellen
Das ist alles schwer vorzustellen, was wir heute erinnern. Es ist schwer zu verstehen, weil wir so behütet und gut aufgewachsen sind und immer noch behütet und gut leben, auch wenn wir manches wissen, was auch bei uns nicht funktioniert.
Stell Dir vor, Deine elterliche Wohnung wird geplündert, Du stehst daneben und kannst nichts tun.
Stell Dir vor, all das was Deinen Eltern wichtig ist, wird von Fremden übernommen. Du wirst aus deinem Haus geworfen. Du wohnst auf einmal zehn Häuser weiter. Du hast nicht genug zu essen, ihr seid zu sechst in einem Raum, Du siehst, wie Dein Haus von Fremden bewohnt wird.
Du siehst und erlebst, wie es kein Recht mehr für Dich gibt, wie keiner dir beisteht.
Du erlebst, wie ihr umgesiedelt werdet, wie ihr deportiert werdet, Du siehst, wie Deine Eltern und Deine Geschwister umgebracht werden und du selbst – 100 m weiter – leben darfst, nur durch Zufall. Oder besser gesagt: leben musst.
Du siehst, wie Menschen einfach so umgebracht werden. Einfach so, weil sie, -die anderen- , es tun.
Und keiner tut was dagegen.
Und Du, Du überlebst.
Du kommst in dein Haus wieder zurück.
Also in das, was mal Dein Haus/ Deine Wohnung war. Und Du willst rein und die neuen Besitzer schauen dich nur an . „Ach, Du hast überlebt. Es haben doch mehr überlebt von Euch, als ich gedacht habe“.
Jehuda
Jehuda Maimon hat das erlebt und als er aus Auschwitz zurückkam, hat er gesagt:
Nie wieder soll das passieren.
Und alle sollen dafür büßen.
Er schloss sich einer Verbindung an, die sich Nakam nannte.
Sie waren die Rächer und wollten ihre ganze Wut und ihre Verzweiflung den Tätern heimzahlen.
6 Millionen Deutsche wollten sie umbringen. Sie waren junge Frauen und Männer, die alles und noch viel mehr erlebt hatten, als wir alle uns das vorstellen können. „Rache und Vergeltung sind mein.“ So haben sie ihren Weg überschrieben. Sie haben ihr Ziel nicht umgesetzt. Ich muss immer daran denken, an diese Wut und Verzweiflung und diese Hoffnungslosigkeit, die diese jungen Menschen hatten.
Wie wäre ich gewesen?
Wie wäre ich gewesen, wenn ich hätte leben /überleben dürfen.
Unsere Aufgabe heute ist Erinnern und Mahnen.
Immer wieder erzählen davon.
Weil es unserer Geschichte ist.
Steinmeier
Frank-Walter Steinmeier hat letzte Woche in Yad Vashem in Jerusalem gesprochen. Er hat zum Erinnern an all die Opfer des Holocaust geredet. Er hat uns gut vertreten. Er hatte uns im Blick.
Das Protokoll hatte bestimmt, dass er als Erster reden solle. Zuerst hat er in Hebräisch, in ihrer Muttersprache gesprochen. Gepriesen sei der Herr, […] dass er mich heute hier sein lässt.“ Dann ist er aus Respekt vor all dem , was Menschen in deutscher Sprache angetan worden ist, ins Englische gesprungen. Und dann hat er nichts beschönigt. Er hat noch einmal gesagt, dass es eine Gnade sei, dass er sprechen dürfe. Und ich habe gedacht: „Wir haben einen guten Bundespräsidenten.“
Das Erinnern ist Teil unserer Kultur und unserer Identität. Ich glaube, dass wir heute da sind, wo wir sind, weil wir uns erinnern. Ich bin Jahrgang 1962 und das Erinnern gehört es zu meinem Leben, meinem Deutschsein und Christsein dazu.
Haifa
Im letzten Jahr war ich zum ersten Mal in Israel. Ich besuchte meine studierende Tochter. In Haifa lernte ich die Stadt kennen. Dort gab es eine Adresse eines Mannes, der einmal in Sengwarden gelebt hatte. Als ich ihn anrufen wollte, zuckte ich zurück. Was fällt mir ein, jemanden Fremdes zu belästigen? Darum rief ich nicht an.
Wenige Wochen später war er in Sengwarden und weihte das Denkmal der jüdischen Exodus-Flüchtlinge ein. Ich nahm meinen Mut zusammen und sprach ihn in meiner Heimat an. Und er reagierte, wenn ich einmal in Israel und Haifa sei, solle ich ihn unbedingt kontaktieren. Er freue sich schon jetzt, mein Stadtführer sein zu dürfen. Welch Geschenk! Etwas zu bekommen, was nicht selbstverständlich ist.
Wir erinnern, das ist unsere Aufgabe.
Wir mahnen, das ist unsere Aufgabe.
Wir vergessen nicht, das ist unsere Aufgabe.
Frank Morgenstern, anlässlich der Gedenkfeier am 27.01.2020 auf dem Synagogenplatz in Wilhemshaven
Die vollständige Rede von Dorothee Jürgensen
- durch Arbeit bis hin zum Tod,
- durch Verhungernlassen,
- durch pseudo-medizinische Experimente,
- durch Erschießen,
- durch Vergasen,
- durch Todesmärsche wenige Wochen vor Kriegsende.
Am 3. Januar 1996 hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum „Nationalen Gedenktag für die Opfer der Nazi-Verbrechen“ erhoben. In seiner Proklamation führte er aus:
Ich zitiere: „Die Erinnerung darf nicht enden, sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“
Dieses Zitat fasst sehr gut zusammen, warum wir uns heute hier versammelt haben.
Wir wollen erinnern an die unsäglichen Gräueltaten des NS-Regimes und der Opfer gedenken!
Und wir wollen jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken und entgegentreten.
Auf beide zentralen Punkte des Zitates möchte ich kurz eingehen.
Der DGB und vor allem der historische Arbeitskreis des DGB Wilhelmshaven setzte sich Anfang der 1980er-Jahre für eine Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers Neuengamme hier in Wilhelmshaven am Alten Banter Weg ein. Ziel war es, Orte für die Erinnerungsarbeit zu schaffen und die NS-Geschichte vor Ort aufzuarbeiten. Zusammen mit Jugendlichen aus mehreren Ländern wurden die Grundmauern des Außenlagers freigelegt.
Am 18. April 1995 wurde die Gedenkstätte dann vom Oberbürgermeister der Stadt Wilhelmshaven eingeweiht. Neben freigelegten Grundmauern und Grundrissen befinden sich dort Schautafeln über das Außenlager und ein Gedenkstein.
Die Geschichte des Lagers am Alten Banter Weg ist leider vielen nicht mehr bekannt!
Das Lager wurde am 17. September 1944 am Alten Banter Weg errichtet. Die über 1.000 männlichen Häftlinge, die im Stammlager Neuengamme ausgewählt worden waren, mussten Schwerstarbeit für die Kriegsmarinewerft sowie Aufräumungsarbeiten verrichten.
Ohne Ruhetag mussten die Häftlinge zwölf Stunden täglich bei völlig unzureichender Ernährung und ständigen Schlägen und Schikanen arbeiten. Die Todesrate stieg rasch an. Bereits wenige Wochen nach Ankunft der KZ-Häftlinge wurde die Stadtverwaltung von der Kriegsmarine aufgefordert, auf dem Friedhof Aldenburg weitere Beerdigungsflächen zur Verfügung zu stellen. Im Totenbuch des KZ Neuengamme wurden für das Außenlager in Wilhelmshaven 234 Tote registriert. Die tatsächliche Zahl der Toten liegt weit höher
Denn am 3. April 1945 April wurden 400 kranke Häftlinge per Bahn abtransportiert. Bei einem Bombenangriff auf den Zug am 7. April im Lüneburger Bahnhof starben mindestens 256 Häftlinge. Von den Überlebenden wurde eine Gruppe zu Fuß weiter nach Bergen-Belsen getrieben. Etwa 60 bis 80 zum Teil verletzte Häftlinge, die in Lüneburg geblieben waren, ermordete ein SS Kommando am 11. April 1945.
Auf dem Friedhof Aldenburg sind mehrere hundert Tote des Außenlagers Wilhelmshaven bestattet, auch hier wurde ein Ort des Gedenkens errichtet!
Diese Orte sind wichtig und es ist unsere Aufgabe, sie zu erhalten und sie vor allem ins Bewusstsein der Menschen zu rufen. Wir dürfen nie vergessen!
Dies ist heute wichtiger denn je und so komme ich zur zweiten zentralen Aussage
Wir wollen jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken und entgegentreten.
Mit dem Auftreten der AFD ist die Verharmlosung und Relativierung der Nazi-Verbrechen nicht nur in die Parlamente eingezogen und wird öffentlich verbreitet, nein, manche in der AFD gehen sogar soweit, die menschenverachtenden Ideologien der Nazis als politische Ziele heute zu propagieren.
Auch die politische Karriere Adolf Hitlers begann nicht mit den Menschheitsverbrechen, deren Folgen wir immer noch zu tragen haben. Hitler trat als Populist in die politische Arena, betörte das Volk und sorgte, zur Macht gekommen, dafür, dass alles in Scherben fiel.
Die Parallelen zu heute sind da!
Abstiegsängste, soziale Verunsicherung und Unzufriedenheit über das fehlende Gegensteuern der Politik machen sich unter vielen Menschen breit! Sie blicken pessimistisch in die Zukunft.
Rechtspopulisten sowie rechte Parteien und Bewegungen nutzen diese Verunsicherung für ihre Ideologien. Obwohl sie weder Wohlstandsversprechen, noch ein „Mehr“ an sozialer Gerechtigkeit oder gar Mitbestimmung bieten, wenden sich immer mehr den rechten Demagogen zu. Sie treiben mit den Ängsten der Menschen ein perfides Spiel und bieten bestenfalls einfache Scheinlösungen, die insbesondere Flüchtlinge und vermeintlich „Fremde“ als Ursachen für den sozialen Abstieg benennen, statt die sozialpolitischen Strukturen.
Diese sogenannte Alternative für Deutschland gründet ihre Politik auf Hass und Ausgrenzung und steht für mich nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung.
Ich bin entsetzt, dass AfDler und Menschen aus dem Umfeld der AfD immer wieder versuchen unsere Geschichte zu verharmlosen, zu verfälschen oder sogar zu leugnen!
Ich finde es geschmacklos, dass am heutigen Gedenktag die AfD hier in Wilhelmshaven ihren Kreisparteitag begeht.
„Seid wachsam, erhebt eure Stimme gegen diese Entwicklungen, wo immer es geht.
Es ist unser aller Verantwortung, dass sich die Unvorstellbaren Gräueltaten des NS-Regimes nicht wiederholen.
Wehret den Anfängen – Nie wieder Faschismus!“